Im Juni 1811 errichtete Friedrich Ludwig Jahn in der Berliner Hasenheide einen ersten öffentlichen Turnplatz mit verschiedenen Turngeräten und Klettergerüsten zur körperlichen Ertüchtigung der
männlichen Jugend. Er versammelte dort an schulfreien Nachmittagen Schüler aus den Gymnasien Berlins zur körperlichen Ertüchtigung, später auch Männer aus überwiegend bürgerlichen Kreisen. Das
Besondere war, dass erstmals im Freien in aller Öffentlichkeit und für jedermann zugänglich Leibesübungen ermöglicht wurden.
Zur Finanzierung der Geräte wurden freiwillige Beiträge erhoben, minderbemittelte Turner konnten auf Kosten anderer beitragsfrei turnen. Bei der Turnkleidung wurde auf einheitliche,
kostengünstige Leinentracht geachtet. Die Ansprache auf dem Turnplatz erfolgte mit dem brüderlichen „Du“.
Vor diesem Hintergrund gilt die Errichtung des ersten Turnplatzes in der Berliner Hasenheide 1811 als Geburtsstunde der Turnbewegung. Das Turnen hat sich zu einer überregionalen und nationalen
Körperkultur entwickelt und war auch von politischen Zusammenhängen beeinflusst.
Damit wurde der Grundstein für die zentralen Elemente unseres bis heute in
Deutschland bestehenden Sportsystems gelegt: freiwilliges, selbstorganisiertes und
selbstfinanziertes Sporttreiben ohne soziale Schranken. Was 1811 als gesellschaftspolitisch revolutionär galt, ist heute selbstverständlicher Bestandteil bürgerschaftlichen
Engagements.
Somit erinnert der Deutsche Turner-Bund im Jahr 2011 an die Berliner Hasenheide als
„Geburtsstunde der Turnbewegung“ und blickt damit auf „200 Jahre Turnbewegung – 200 Jahre soziale Verantwortung“ zurück.
Bei diesem Jubiläum geht es nicht darum, das Bestehen des Deutschen Turner-Bundes (DTB) als Verband zu feiern, denn die Gründung des DTB geht auf das Jahr 1848 auf den Turntag in Hanau zurück
als ein erster gesamtdeutscher Turnerbund ins Leben gerufen wurde. Im Vordergrund des Jubiläums steht vielmehr die Würdigung der Turnbewegung als eine gesellschaftliche Bewegung, die über 200 Jahre
hinweg bis heute Verantwortung für die soziale Gestaltung unserer Gesellschaft übernommen hat. Johann Christoph Friedrich GutsMuths (1759-1839) und Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) waren mit ihren
damals neuartigen Vorstellungen über den Zusammenhang von Bewegung, Erziehung und Bildung die Wegbereiter.
Die Turnbewegung umfasst heute rund 5 Millionen Mitglieder, die unter dem Dach des DTB in über 20.000 Turnvereinen und Turnabteilungen organisiert ist. Als Verband für Turnen und Gymnastik
vereint der DTB neben dem Gerätturnen eine breite Palette von Sportarten, die gemäß des turnerischen Grundprinzips der Vielseitigkeit sowohl als Wettkampf- und Breitensport als auch als Fitness- und
Gesundheitssport für Frauen und Männer jeden Alters angeboten werden. Zudem gehört das Kinderturnen zu einem der wichtigsten Kernfelder der heutigen Turnbewegung.
Aus diesen vielfältigen Angeboten ergibt sich die soziale Verantwortung der Turnbewegung:
• Die Turnbewegung sorgt für die gesunde körperliche und geistige Entwicklung unserer Kinder. Die Angebote reichen vom Eltern-Kind-Turnen über das Kleinkinderturnen bis zum Kinderturnen im
Grundschulalter. Sie stellen ein vielseitiges und ganzheitliches Bewegungsangebot dar, das neben der Verbesserung
der motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten die geistige Aktivität anregt und soziale Erfahrungen vermittelt. Kinderturnen heute gilt als Grundlage für die Ausübung aller Sportarten und ist
somit die „Kinderstube des Sports“. 1,6 Millionen Kinder nehmen
heute die Angebote der Turnvereine und Turnabteilungen im Kinderturnen wahr.
• Die Turnbewegung übernimmt Verantwortung in der Gesundheitsförderung durch
Bewegung. Turnen und Gymnastik bilden die Grundlage für vielfältige, moderne
Bewegungsangebote im Fitness- und Gesundheitssport in den Turnvereinen und Turnabteilungen für beide Geschlechter aller Altersgruppen. Dies zeigt sich in den folgenden Zahlen: Rund 2,2 Millionen
Frauen von 18 bis über 70 Jahre stellen 70 % der Mitglieder in den Turnvereinen und Turnabteilungen, 900.000 Mitglieder sind über 60 Jahre.
• Die Turnbewegung und ihre Turnvereine waren eine tragende Säule der Freiheitsbewegung von 1848 und in demokratischen Entwicklungen in Deutschland. Die vielen Turnerinnen und Turner, die in
Vereinen und Verbänden ehrenamtlich Verantwortung übernehmen, präsentieren bis heute einen unverzichtbaren
Bestandteil großen bürgerschaftlichen Engagements im Sport. Die Turnbewegung hat aus ihrer unrühmlichen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus gelernt und hat sich – wenn auch erst spät
in der Nachkriegszeit – der Verantwortung gestellt.
• Solidarität und soziale Gemeinschaft sind prägende Elemente der Turnbewegung. Dies kommt insbesondere bei den Turnfesten zum Ausdruck, die seit über 150 Jahren als herausragende und
einzigartige Veranstaltung der Turnbewegung gelten. Das erste Deutsche Turn- und Jugendfest fand 1860 in Coburg mit rund 1200 Turnern statt. Heute präsentieren sich die Internationalen Deutschen
Turnfeste mit rund 100.000 Teilnehmern, als Ausdruck einer aktiven Lebensweise.
Turnfeste motivieren zum Mitmachen – wie 1811 der Turnplatz in der Berliner Hasenheide.
Am Beispiel „200 Jahre Turnbewegung“ wird sichtbar, dass eine lange Tradition und zeitgemäße Bewegungsangebote in einer modernen
Organisation nicht im Widerspruch stehen müssen.